Content, der über die sozialen Medien “vermarktet” wird, umfasst neben Produkte-Botschaften immer mehr, und vor allem mit immer lauterem Echo, politische Messages. #blacklivesmatter, #metoo, #occupywallstreet haben die ungefilterte, urdemokratische Macht der sozialen Medien eindrücklich bewiesen. Plattformen sind naturgemäss indifferent gegenüber den Messages, die sie transportieren. Sie können – und werden tatsächlich – auch zur Verbreitung von nicht auf ihren Wahrheitsgehalt überprüften Botschaften verwendet. Das Versenden von Fake oder False News, also des Missbrauchs von Plattformen und Kanälen durch politische Kräfte, für die Demokratie, Wahrheit oder Transparenz keine zentralen Werte darstellen, ist deshalb unvermeidbar und richtig: Plattformen und Kanäle sind nicht per se “gut” oder “böse”, “demokratisch” und “undemokratisch”, sie sind schlicht wertneutrale Überbringer von Botschaften. Die Behauptung der US-Zeitung “Washington Post”, Präsident Trump würde 6.7-mal pro Tag via Twitter eine Lüge verbreiten, spricht allenfalls gegen die Qualifikation von Trump als Präsident, sicher aber nicht gegen Twitter als Verbreiter von Botschaften.
Die Plattformen der Sozialen Medien sind zwar politisch neutral und gegenüber den verbreiteten Botschaften weitgehend ohne Interesse, alle Messages transportieren sie aber nicht:
auch Trump – um bei diesem prominenten Beispiel zu bleiben – sei nicht immun gegen eine Sperrung seines Accounts, liess die Rechtabteilung von Twitter kürzlich verlauten. Auch wenn seine Tweets oft Nachrichtenwert hätten, sei dies «kein Freifahrtschein des Präsidenten für Attacken auf politische Gegner, Prominente oder Journalisten. Man müsse immer den Kontext miteinbeziehen und sicherzustellen, dass Twitter unparteiisch sei und gleichzeitig seine Nutzungsbedingungen eingehalten würden.
Allerdings weisen genau die Definition und die Anwendungsbedingungen dieser angebliche Unparteilichkeit auf eine Unberechenbarkeit aller Sozialer Medien hin: niemand kennt die Algorithmen, nach denen Google, Instagram, Snapchat oder Twitter Messages löschen, priorisieren, promoten. Eine neue Gesetzgebung hat diesen Sommer nun dazu geführt, dass Algorithmen einzelner Plattformen zwar nicht kommuniziert, aber immerhin mit grösserer Wahrscheinlichkeit vermutet werden können.
Die Schulmassaker in der USA waren inszeniert
Youtube – einer der weltweit wichtigsten Informationsquellen – wurde in den letzten Jahren bei Alt-Right, Konservativen und Rechtsextremen immer populärer. Der Algorithmus der Plattform ist inhalts- und userbasiert präsentiert dem User ein massgeschneidertes Menü, individualisiert auf der Basis dessen, was in der Vergangenheit geschaut worden ist und was also voraussichtlich künftig wahrscheinlich gesucht werden wird. Bei Youtube sorgt der Algorithmus dafür, dass die Empfehlungen immer extremer werden: Wer sich für Vegetarismus interessiert, erhält am nächsten Tag Veganismus-Empfehlungen. Wer sich Tips für regelmässiges Jogging holt, bekommt später Marathonläufe angepriesen. “Die Konsequenz: Wer nur Youtube konsumiert, glaubt nach einigen Wochen, Michelle Obama sei in Wirklichkeit ein Mann, die Erde flach, der Klimawandel inexistent und etliche Schulmassaker in den USA bloss “Inszenierungen”. Das war ein Folge des 2012 modifizierten Algorithmus. Youtube hatte entschieden, anstelle der Klickrate die Verweildauer, wie prominent ein Beitrag in der Empfehlungsliste steht. Youtube wollte damit eigentlich auf Qualität setzen, indem sie User vor dem Tappen in die Clickbait-Falle schützen wollten. Trash-Videos, die lediglich mit effekthascherischen Titeln und vielversprechenden Vorschaubildern zum Anschauen verleiten, ohne aber die geweckten Erwartungen der Zuschauer zu bedienen, sollte so zurückgestuft werden. Offensichtlich hat man damit einen zentralen sozial-psychologischen Effekt unterschätzt: Menschen, denen immer extremere Meinungen und Behauptungen präsentiert werden, verweilen länger auf den Seiten des Portals und schauen sich noch mehr Videos an. Mit der fatalen Folge: wer den Youtube-Kosmos einmal betreten hat, der bleibt. Und gerät dadurch in Parallelwelten.
Das derart modifizierte Verhalten des Algorithmus wurde subito durchschaut und im nicht beabsichtigten Sinn ausgenützt. Ein Beispiel: In der Woche nach der Nominierung als Kandidat der Republikaner haben Donald Trump und sein Political Action Committee (PAC) mehrfach ein YouTube-Video geschaltet, in dem die Bürger den Kongress auffordern sollen, sich für den Bau der Mauer zu Mexiko einzusetzen. Im selben Zeitraum fragte ein 15-Sekunden-Video die Zuschauer, wie sehr sie den “Mainstream-Medien” vertrauen. Ein zweites Beispiel: “Swing States” werden die Staaten der USA genannt, die unstabile Wählermehrheiten aufweisen und manchmal republikanisch, manchmal demokratisch wählen. Eine Untersuchung der Oxford University ergab, dass in der Woche vor den Wahlen in den Swing States signifikant häufiger “junk news” (“characterized by ideological extremism, misinformation and the intention to persuade readers to respect or hate a candidate or policy based on emotional appeals”) in Youtube-Beiträgen verbreitet und verlinkt wurden als “information produced by professional news organizations”.
Solche aggressiven und vor allem simplifizierenden Botschaften setzen sich zusätzlich durch, weil bei ihrer Selektion nach “Relevanz” nicht unterschieden wird zwischen Verschwörungstheorie und faktenbasiertem Qualitätsjournalismus. Das ist richtig: Jede Selektion unter den Gesichtspunkten der “Relevanz”, “Qualität”, “Objektivität” oder “Wahrheit” würde sofort den Verdacht der Zensur wecken. Plattformen und Kanäle der sozialen Medien funktionieren ohne “gate keeper”. Diese Funktion des “gate keeping”, der Triage zwischen “wertvollen” und “junk” News obliegt den traditionellen, faktenbasierten Medienunternehmen, die gerne als vierte Macht im Staat bezeichnet werden.
Damit sie das bleiben und ein Gegengewicht zu den Informationsquellen der Sozialen Medien bilden müssen sie sicher mehr tun, als sich in Fake-News-Kriege mit den politischen Eliten zu verheddern sie damit zu befeuern.