Nicht der Mensch, der Konsum gehört in die Quarantäne

Könnte es sein, dass wir in eine Quarantäne des Konsums geraten, in der wir lernen werden, wie man mit Dingen glücklich sein kann, um unseren Planeten zu schützen?
Könnte es sein, dass die Auswirkungen des Virus entscheidend für den Aufbau einer alternativen und völlig anderen Wertvorstellungen sein werden?

Die Bilder gingen um die Welt: China, Italien, Spanien. Von all diesen Ländern dokumentieren Satellitenaufnahmen einen eindrucksvollen Rückgang des Ausstoßes von Stickstoffdioxid. Dieser Schadstoff wird vor allem von Verbrennungsmotoren, aber auch Industrie und Fossil-Energie-Kraftwerken erzeugt. In Venedig zeigten sich die Delfine wieder. Das machte deutlich wie durch Verlangsamung und Beschränkung der produzierenden Industrie eine messbar gesündere Umgebung geschaffen werden kann. Wenn wir zusätzlich Flug- und Bootsreisen, Urlaubsreisen, Geschäftsreisen und Transporte einbeziehen, sollte die Wirkung eigentlich beträchtlich sein. Sind das grüne Fantasien? Wohl kaum, der Effekt war erlebbar.

Müssen wir in der Konsequenz unsere Wirtschaft abwürgen, um eine fortlaufende Zerstörung der Welt aufzuhalten?
Nicht machbar.

Aber die «Quarantäne des Konsums» könnte tief greifende kulturelle und wirtschaftliche Auswirkungen verursachen.
Die Menschen könnten sich überlegen, mit weniger Besitztümern zu leben und weniger zu reisen, weil der Lockdown zeigte, wie wirtschaftliche Störungen nicht nur ökologische Vorteile haben könnten, sondern auch das die Digitalisierung vieles anscheinend nicht ersetzbare problemlos überflüssig werden kann.

Doch lernen wir etwas daraus? Leider gibt es nach dieser Katastrophe keine sofortige Abkehr von den alten Mechanismen. Die Menschheit verhält sich wie ein Drogensüchtiger auf Entzug.

Aber wir könnten daraus lernen. Wir dürfen den erlebten Effekt memorieren und uns erlauben alles von Grund auf neu zu erfinden. Die Auswirkungen des Coronavirus für die Wirtschaft werden vielschichtig und komplex sein. Die Auswirkungen des Ausbruchs werden uns dazu zwingen, darüber nachzudenken, ob wir uns in Zukunft weigern, sinnlos in Flugzeuge zu steigen, lieber von zu Hause aus arbeiten, weniger zu pendeln und auf unseren energetischen Fussabdruck zu achten.
Jeden neuen Tag könnten wir ein neues etabliertes System hinterfragen, das wir seit unserer Geburt kennen, und über dessen mögliche nachhaltige Veränderung nachdenken. Bei jüngeren Generationen wächst das Bewusstsein, dass Eigentum und das Horten von Kleidung und Autos nicht mehr attraktiv sind und dass der Schutz der Ökologie einen Wert hat.
Wir haben schon seit Jahren verstanden, dass wir drakonische Veränderungen in der Art und Weise, wie wir leben, vornehmen müssten, um den Planeten zu schützen.

Was ist jetzt richtig? Wo setzen wir die Prioritäten? Die schiere Masse an Informationen, die über alle Kommunikations-Kanäle auf uns niederprasseln, hat unsere Handlungsfähigkeit betäubt. Das Gefühl der Ohnmacht verstärkt unsere Unfähigkeit zu Denken; diese Spirale dreht sich immer schneller.

Wir wären in der Lage – könnten uns zwingen – einen Neuanfang zu machen. Der Moment ist ideal, da die Wirtschaft und Staaten viel Geld im Zuge der Pandemie verloren haben und gezwungen werden, über die Zukunft nachzudenken.

Aber wir dürfen das nicht einfach den Politikern und den Wirtschaftswissenschaften in den Think Tanks überlassen. Nur gemeinsames Nachdenken und Austausch darüber kann zu neuen Visionen und Gesellschaftsformen führen.

Wir brauchen einen «New Deal». Der New Deal damals, 1933 bis 1939, bestand aus einer Reihe von Programmen, öffentlichen Arbeitsprojekten, Finanzreformen und Vorschriften, die von Präsident Franklin D. Roosevelt in den USA erlassen wurden. Er reagierte auf die Bedürfnisse nach Erleichterung, Reformen und der Erholung von der Weltwirtschaftskrise.

Nicht nur der Geldfluss per se und die damit verknüpfte Wirtschaft, auch die Gesellschaft und ihre Kulturen werden sich neu erfinden müssen. Alle Sektoren werden nachhaltig erschüttert bleiben, insbesondere Fluggesellschaften, Gastgewerbe, Elektronik und importierte Lebensmittel und Luxusmarken.

Die Ausbildungsstätten und Universitäten werden diese Erfahrung nicht spurlos vorbeiziehen lassen. Im Gegenteil, sie werden, wenn sie sie als Chance verstehen, einen wesentlichen Einfluss auf die Inhalte der Lehrtätigkeit haben. Die Ausbildung der Studenten könnte einen noch stärkeren Drall nach der Neuerfindung der Welt nach sich ziehen. Ein Neustart erfordert viel Einsicht und Kühnheit, um neue Werte und Methoden für die Produktion, den Transport, Vertrieb und Einzelhandel aufzubauen.
Aber das könnte dauern, also müssen wir jetzt vorwärts machen.

Das ist auch dringend nötig. Wenn wir keine neue Vision entwickeln, werden die Kosten des Lockdowns zu einer globalen Rezession in einer Größenordnung führen, die die Welt zuvor noch nicht erlebt hat.

Am Ende werden wir gezwungen sein, das zu tun, was wir eigentlich hätten tun sollen. Wir müssen alle unsere Gewohnheiten aufgeben. Wir werden wie Drogensüchtige den Effekt eines «Cold Turkey» erleben. Oder wollen wir weiterhin immer kürzere Lebenszyklen von Dingen hinnehmen, die nur minimale Verbesserungen aufweisen, aber als grossartige Innovationen verkauft werden, nur um unseren Drogenkick zu multiplizieren?

Wir werden lernen müssen, wie man mit weniger glücklich ist, wir werden Gebrauchtes wieder reparieren und zu unseren Dingen mehr Sorge tragen. Die Auswirkungen des Virus auf die Wirtschaft werden entscheidend für den Aufbau einer alternativen, und für die zukünftigen Generationen für sie bessere, Wertewelt sein. Genauso wie alle grossen menschliche Tragödien immer Zäsuren darstellten. Wir haben jetzt die Möglichkeit, Regeln und Vorschriften zu schaffen, die es uns ermöglichen, einen neuen Wohlstand zu schaffen, der wieder verstärkt auf lokalem Handeln und Denken, unserem eigenen Kompetenz und unseren spezifischen Qualitäten beruht, um unsere wirtschaftliche Unabhängigkeit wiederzuerlangen. Das ist gerade für unser Land eine grosse Chance.

Weg vom multinationalen Denken mit global gesteuerten Vorgaben und weltweit gleichen Inhalten und Produkten, zurück zur lokalen Vielfalt, zu Erfinderreichtum und Diversität.

Lokale Industrien und Aktivitäten würden an Dynamik und neue Impulse in der Finanzwirtschaft auslösen. Der Lockdown könnte uns viel schneller eine neue Zukunft bringen, wenn wir daran glauben wollen. Und wir hätten alle wieder mehr Spass am Leben, weil wir weniger fremdbestimmt sind.

Der Treibstoff dieser Bewegung ist die Kreativität.

«Der Geist ist wie ein Muskel, je mehr Sie trainieren, desto stärker wird er und desto mehr kann er sich ausdehnen.» – Idowu Koyenikan 

In der Tat beschäftigen sich Wissenschaftler seit Jahrzehnten mit Kreativität und wie man sie verbessern kann. Es gibt sogar ein Kreativitätsforschungs-Journal mit Artikeln mit dem Titel «Die kognitive Neurowissenschaft der Kreativität» und «Theorie in der Kreativitätsforschung: die schädlichen Auswirkungen der allgemeinen Allgemeinheit».

Die Wissenschaft kratzt erst an der Oberfläche eines Verständnisses, wozu unser Gehirn fähig ist und wie es genau funktioniert. Letztendlich ist es wichtig zu verstehen, dass das Gehirn anfällig für Einflüsse ist. Wir können die Kreativität fördern. Oder wir können sie zerstören (indem wir den ganzen Tag nur hinter unseren Schreibtischen sitzen). Da wir das alles wissen, sind wir es der Welt schuldig, diese Erkenntnisse ernst zu nehmen, tiefer zu tauchen und zu handeln. Genau wie die Spitzensportler, wenn es um ihre Leistungssportarten und Leistungen geht.

Stellen Sie sich die Möglichkeiten vor, wenn wir anfangen, unser Gehirn zu trainieren, um mehr kreative Arbeit zu leisten.
Im Jahr 2012 stimmte eine Gruppe von Outdoor-Backpackern zu, Gegenstand einer interessanten Studie zu sein. Sie waren auf einer sechstägigen Wanderung ohne Laptops oder mobilen Geräten. An den Tagen eins und vier nahmen sie an einem sogenannten Remote Associates Test (RAT) teil, mit dem Psychologen die Kreativität messen. Die Ergebnisse? Erstaunlich. Die Teilnehmer erhielten 50 Prozent bessere Ergebnisse, nachdem sie so viel Zeit in der Natur verbracht hatten. Und genau das haben wir ja jetzt auch alle getan. Wir sind hinausgegangen in die Natur und haben über uns selbst reflektiert. Also: Trainieren sie weiter, steigern sie ihre eigene Kreativität und verändern sie damit die Welt.